Einige Bibellehrer behaupten, zunehmende Erdbeben seien ein Zeichen der Endzeit und eine Erfüllung von Matthäus 24,7. Allerdings stehen solche Aussagen im Widerspruch zu wissenschaftlichen Daten sowie zu einer richtigen Auslegung der Worte Christi in der Ölbergrede.
Im Matthäusevangelium prophezeit Jesus in Seiner Endzeitrede, dass «Geburtswehen» kommen würden. Im Prämillenarismus gibt es zwei Sichtweisen über den zeitlichen Ablauf dieser Wehen. John F. Walvoord schrieb in Bezug auf Prämillenaristen, sie verstünden Matthäus 24,4-14 «als eine Einheit, die die generellen Merkmale der Endzeit beschreibt, während sie zugleich anerkennen, dass die prophezeiten Schwierigkeiten, die den gesamten Zeitabschnitt zwischen dem ersten und dem zweiten Kommen Christi kennzeichnen, sich intensivieren werden, wenn sich das Zeitalter seinem Abschluss nähert.» Anders ausgedrückt: Sie behaupten, Matthäus 24 zähle in den Versen 4-14 «allgemeine» und in den Versen 15-26 «spezifische» Zeichen auf. Diese Unterscheidung würde bedeuten, dass die ersteren «zumindest teilweise bereits erfüllt worden sind und die Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten Kommen Christi prägen». Allerdings gibt es auch unter Vertretern dieses Modells einige, die Matthäus 24,4-8 als allgemeine Zeichen der Zeit zwischen dem ersten und zweiten Kommen Christi verstehen und 24,9-14 als Ereignisse, die in der ersten Hälfte der Trübsalszeit eintreten.
Sicher haben die in der Ölbergrede aufgezählten Geburtswehen (falsche Messiasse, Kriege, Hungersnöte und Erdbeben) in unserer Zeit ihre Vorläufer. Allerdings zeigt der Vergleich der Aussagen Christi in den Endzeitreden mit den Parallelen in Offenbarung 6, dass diese Zeichen während des Gemeindezeitalters noch nicht erfüllt werden. Die prophezeiten Zeichen gehören einzig in eine Zeit, wie sie die Welt noch nicht erlebt hat. Weil diese Zeichen Ereignisse sind, die vom Kontext her gesehen zur Trübsalszeit gehören, sollten sie im gegenwärtigen Zeitalter keinesfalls als irgendwie erfüllt gewertet werden.
So ist es zum Beispiel üblich, zum Beweis für die Erfüllung biblischer Prophetie auf Hungersnöte und Seuchen zu verweisen. Aber ist das stichhaltig? Über Jahrtausende hinweg hat die Menschheit immer wieder solche Katastrophen erlebt. Die verheerendsten Hungersnöte fanden wohl in Nordchina (1876-79) und Indien (1876-78) statt. Allein in Nordchina kamen «durch Hunger, Gewalt und in der Folge durch Krankheit schätzungsweise 9 bis 13 Millionen Menschen ums Leben». Zwischen 500 und 650 n.Chr. erlebten Europa und Asien die wohl schlimmste Pestepidemie überhaupt (die sogenannte Justinianische Pest); damals starben drei von fünf Menschen an dieser Krankheit. Der Niedergang Konstantinopels und des Byzantinischen Reichs ist auf die Justinianische Pest zurückzuführen. Das Reich erholte sich erst ab dem 9. Jahrhundert wieder von diesem schweren Schlag. «Wiederholte Ausbrüche der Beulenpest töteten 100 Millionen Menschen» in Europa und Asien. Von 1347 bis 1351 wütete der Schwarze Tod «auf jeder Ebene der Gesellschaft und brachte etwa 75 Millionen Menschen um. Über 200.000 Dörfer starben aus; insgesamt schrumpfte die Bevölkerung Europas um etwa ein Viertel.» Niemand bestreitet ernsthaft die verheerenden Auswirkungen dieser ausgewählten Ereignisse; dennoch können sie nicht mit denen der kommenden Trübsalszeit verglichen werden. Für die Gerichte und Zeichen der Trübsalszeit gibt es in unserer Zeit keinen Präzedenzfall, sie werden ein nie da gewesenes Ausmass erreichen. Wenn die Ereignisse von Matthäus 24,4-14 (oder 24,4-8) nur Katastrophen sind, die so alt sind wie die Menschheit selbst – Krieg und Eroberung, Hungersnot und Tod –, was soll sich dann durch die ersten vier Siegelgerichte noch gross ändern? Offensichtlich gar nichts. Aber der biblische Text sagt etwas anderes aus.
Eine andere prämillenaristische Auslegung von Matthäus 24,4-14 verlegt diese prophezeiten Ereignisse ausschliesslich in die erste Hälfte der Trübsalszeit. Arno C. Gaebelein schrieb: «Hierzu möchten wir Folgendes sagen: Wenn diese Auslegung zutreffend ist, wenn Matthäus 24,4-14 über den Anfang vom Ende dieses Zeitalters spricht, und wenn Offenbarung 6 denselben Anfang vom Ende beschreibt, und wenn die folgenden Kapitel der Offenbarung zur grossen Trübsal hinführen, dann müssen dieser Teil der Ölbergrede in Matthäus 24 und die Offenbarung ab Kapitel 7 vollständig übereinstimmen. Und das ist tatsächlich auch der Fall.»
Es gibt bedeutende Parallelen zwischen den Endzeitreden in Matthäus, Markus und Lukas und der Offenbarung an Johannes. Natürlich verstehen alle Prämillenaristen, dass die synoptischen Endzeitreden zumindest teilweise Parallelen zur Offenbarung aufweisen. Deshalb ist es nur logisch (und, noch wichtiger: es entspricht der Offenbarung des Wortes Gottes), dass es in Matthäus 24,4-14 und in den übrigen Teilen der Endzeitrede im Matthäusevangelium um ein und dieselbe Zeitspanne geht – um die sieben Jahre der grossen Trübsal.
Zunehmende Erdbeben – eine Erfüllung von Matthäus 24,7? Einige Lehrer der biblischen Prophetie behaupten, die steigende Zahl von Erdbeben seien Zeichen der Endzeit und deshalb die Erfüllung von Matthäus 24,7. Solche Behauptungen passen aber weder zu wissenschaftlichen Daten noch zur richtigen Auslegung der Ölbergrede Jesu. Laut dem National Earthquake Information Center (NEI C, Nationales Erdbeben-Informations- Zentrum) hat sich die Anzahl schwerer Erdbeben der Stärke 7,0 und höher nicht verändert. Allerdings können dank dem wissenschaftlichen Fortschritt Erdbeben heute viel genauer registriert werden als noch vor zwanzig Jahren, und auch die weltweite Kommunikation trägt dazu bei, dass uns viel häufiger als früher bewusst wird, wie sehr die Erdoberfläche in Bewegung ist.
Seismografen haben in den letzten Jahren keine Zunahme von Erdbeben verzeichnet. Aufgrund der Aufzeichnungen seit Beginn des letzten Jahrhunderts erwartet der NEI C jährlich siebzehn grössere Erdbeben der Stärke 7,0–7,9 auf der Richterskala und ein grosses Erdbeben der Stärke 8,0 oder höher (wie das Erdbeben in Japan im März 2011). Langfristig gesehen ist die Anzahl schwerer Erdbeben zwischen 1969 und 2011 keineswegs überdurchschnittlich hoch. Die Behauptung, in Erfüllung von Matthäus 24,7 hätten Erdbeben zugenommen, ist eine Fehlinterpretation der Schrift. Der Zusammenhang von Matthäus 24,7 fordert, dies als Zeichen für Gläubige in der Trübsalszeit zu sehen, die die Rückkehr des Herrn erwarten. Diesen Vers als Beschreibung von Ereignissen im Gemeindezeitalter zu werten, wäre nicht korrekt.
Unbestritten wird es in der Trübsalszeit mehrere weltweite Erdbeben geben, so das grosse Erdbeben und die anschliessenden Ereignisse, die die Öffnung des sechsten Siegels begleiten (Offb 6,12-17): «Die Sonne wurde schwarz wie ein härener Sack, und der Mond wurde wie Blut, und die Sterne des Himmels fielen auf die Erde … Und der Himmel entwich wie eine Buchrolle … und alle Berge und Inseln wurden von ihrem Ort weggerückt.» Das sechste Siegelgericht wird den Himmel und die Erde treffen. Jesaja (2,10-22) prophezeite ihre Verwüstung für den Tag des Gerichts, an dem Gott aufsteht und die Erde erzittern lässt.
Die Schlacht von Harmagedon wird von zahlreichen Erdbeben begleitet sein (Offb 8,5; 11,19; 16,18). Offenbarung 16,18-20 beschreibt ein grosses Erdbeben (das grösste Erdbeben, seitdem Menschen auf Erden leben). In Apostelgeschichte 1 stieg Jesus vor Zeugen vom Ölberg aus in den Himmel auf, und genau dorthin wird Er zurückkehren, um Sein Volk zu erretten. Das grosse Erdbeben wird geschehen, wenn der Messias auf die Erde zurückkehrt und Seine Füsse auf den Ölberg setzt und diesen in zwei Teile spaltet (Apg 1,9-12; Sach 14,1-11).
Der biblische Befund in diesem Artikel macht biblische Prophetien nicht ungültig. Hahn erklärte: «Wir müssen daraus schliessen, dass der Welt noch weit grössere seismische Aktivitäten bevorstehen. Wenn unsere Auslegung von Matthäus 24 und den entsprechenden Berichten in der Offenbarung zutrifft, wird in der ersten Hälfte der Trübsalszeit eine deutliche Zunahme stattfinden, und zwar in solchem Ausmass, dass die gesamte Menschheit davon Kenntnis nehmen muss. Dies entspricht auch dem Verständnis der Trübsalszeit als einem Zeitabschnitt, in dem Gott selbst die Erde in Aufruhr bringt. Es wird eine Zeit des ungemilderten Zornes Gottes sein.»
Von Ron J. Bigalke Jr.