Es scheint, als gewinne der Islam immer mehr an Macht, während Europa immer schwächer wird. Ist das wahr?
Stützt man sich auf das, was die Medien über die Entwicklung Europas und der islamischen Länder publizieren, gewinnt man den Eindruck, als ob der Einfluss der islamischen Länder rasant zunehme, die Entwicklung Europas hingegen eher von Stagnation und Krisen überschattet sei. Mega-Trends, die diese Entwicklung zu belegen scheinen, sind:
– Punkto Bevölkerungsentwicklung weisen die führenden islamischen Länder ein explosionsartiges Wachstum auf, die rein europäische Bevölkerung dagegen (d.h. ohne Zuwanderung) stagniert.
– In der Wirtschaft haben die OPEC - Staaten seit der Ölkrise bezüglich der Gewinnung von Rohöl eine Machtposition erlangt, die ihnen erlaubt, die Preise auf dem Weltmarkt weitgehend selbst festzulegen. Die Ölgewinnung hat diesen Staaten eine Quelle scheinbar unermesslichen Reichtums eröffnet und die Europäer zu Bittstellern degradiert. Die Krise des Euro mit dem Wertverlust von rund 20 % gegenüber anderen Währungen während des Jahres 2010 spricht auch gegen Europa.
– Der Islam ist in zahlreichen europäischen Staaten zu einem sehr ernst zu nehmenden politischen Machtfaktor geworden. Die islamischen Stimmen, die die europäischen Regierungen dazu drängen, in deren Gesetzgebung die Scharia (islamische Rechtsprechung, gestützt auf den Koran) aufzunehmen, mehren sich.
– Der Islam rechnet für die Endzeit mit Erweckung zu seinen Gunsten, in den europäischen Ländern wird der Abfall vom Christentum immer deutlicher.
All das scheint den Aufschwung des Islam und den Niedergang Europas zu belegen. Aber wenn wir die Entwicklung im Licht des prophetischen Wortes betrachten, dann sehen wir Trends, die in eine andere Richtung laufen:
1. In der islamischen Welt: Der Islam ist die letzte monotheistische Religion (d.h. eine Religion, die einen einzigen Gott verkündet), von der noch reale Kraft ausgeht. Das Judentum und das Christentum sind innerlich bereits derart ausgehöhlt, dass sie für den Antichristen und dessen Welteinheitsreligion kein ernst zu nehmendes Hindernis mehr darstellen. Der Islam in seiner derzeitigen Verfassung hingegen würde sich vehement gegen die Errichtung einer nicht-islamischen Welteinheitsreligion wehren. Es müssen also noch Ereignisse eintreten, die die aktuelle Machtstellung des Islam brechen. Anzeichen dafür sind zu erkennen:
– Die Unruhen in Ländern wie Tunesien, Ägypten, Jordanien, Iran, Libyen, Bahrain, Jemen und Syrien zeigen, dass Millionen von Menschen begriffen haben, in welche Unfreiheit ihre staatlichen Religionssysteme sie geführt haben. Es scheint hier eine ähnliche Entwicklung stattzufinden wie vor etwas über zwanzig Jahren in Osteuropa, als die Perestroika den Zusammenbruch des totalitären Systems der Sowjetunion und den Fall der Berliner Mauer herbeiführte. Internet-Medienkanäle wie YouTube, Google, Facebook und Twitter erlauben diesen Menschen erstmals, ungehindert Informationen aus anderen Ländern zu bekommen, darüber nachzudenken und Vergleiche mit den Verhältnissen in ihrem Land anzustellen. Der politische Islam ist nicht mehr der geschlossene Block, als der er sich lange Zeit präsentierte.
– In Europa sind mehrere wichtige Länder daran, ihre Einstellung zum Islam zu korrigieren. Thilo Sarrazins Buch Deutschland schafft sich ab mit seinen islamkritischen Gedanken hat viele zustimmende Stimmen gefunden. Frankreichs Präsident Sarkozy wehrt sich vehement gegen einen Beitritt der Türkei zur EU. Das Schweizer Nein zum Bau von Minaretten hat europaweit ein starkes Echo ausgelöst. In Holland hat Geert Wilders’ «Partei für die Freiheit», die sich durch islamkritische Gedanken auszeichnet, erheblichen Zulauf (2008 sagten in einer repräsentativen Umfrage 56 % der befragten Holländer, es sei der grösste Fehler der Geschichte gewesen, so viele Moslems ins Land zu lassen).
– Das Ende des wirtschaftlichen Reichtums der arabischen Staaten durch Ölgewinnung ist in Sicht. Gemäss den aktuellen Erkenntnissen werden in vierzig bis fünfzig Jahren die noch vorhandenen Ölreserven abgebaut sein. Dann hat die arabische Welt ihre grösste Einnahmequelle und ihre wirtschaftliche Monopolstellung gegenüber dem Westen verloren.
– Der Ort für den dritten Tempel, den die Israelis errichten werden und in den der Antichrist sich in der grossen Trübsal setzen wird, ist zur Zeit durch die Al-Aqsa-Moschee besetzt. Gemäss dem prophetischen Wort muss dieser Tempel kommen. Der Islam in seiner momentanen weltweiten Stärke steht dem jedoch entgegen. Es muss also noch ein Ereignis eintreten, das den Islam so entscheidend schwächt, dass die Al-Aqsa- Moschee beseitigt wird.
2. In Europa: Europa hat im Lauf der letzten 60 Jahre ständig an Statur und Gewicht gewonnen. Was 1951 in der Montanunion und 1957 in Gestalt der Verträge von Rom seinen bescheidenen Anfang nahm, ist zu einer politischen Grösse geworden, die als Gesprächspartner in wichtigen internationalen politischen Fragen nicht mehr wegzudenken ist. Heute ist die EU ein Staatenbund, der 27 Länder mit einer Einwohnerzahl von über 500 Millionen Menschen umfasst. Aller Fehler und Krisen zum Trotz zielt der Trend der EU eindeutig in Richtung Erfolg:
– Der Widerstand der kritischen Bevölkerung von Ländern wie Dänemark und Irland wurde durch geduldige Überzeugungsarbeit und wiederholte Abstimmungen gebrochen.
– Die Zugpferde Frankreich und Deutschland arbeiten seit Jahrzehnten konsequent auf die Einigung Europas hin, selbst mit den unterschiedlichsten Regierungskoalitionen.
– Es gelang, eine einheitliche Währung zu schaffen, den Euro.
– Ein Meilenstein war die Inkraftsetzung der Verträge von Lissabon am 1. Dezember 2009. Dieses Vertragswerk hat Verfassungsrang und hat der EU ein juristisches Fundament für weitergehende Gesetzgebungen gegeben. Die Exekutive ist mit so umfassenden Kompetenzen ausgerüstet, dass kritische Stimmen im EU-Parlament ohne Weiteres übertönt werden können.
– Die Wirtschaftskrise von 2008 hat zu einer Beschneidung der amerikanischen Wirtschafts-Vormachtstellung geführt und Europa im Vergleich mit den Amerikanern aufgewertet.
– Auch innerhalb von Europa hat die Wirtschaftskrise zu einer Stärkung von Europa geführt. Der Milliarden-Rettungsschirm, der zu Gunsten von maroden Volkswirtschaften wie Griechenland, Irland und Spanien geschaffen wurde, erlaubte den EU-Verantwortlichen, die Souveränität der Volkswirtschaften dieser Länder zu unterlaufen. Bei der Errichtung der Verträge von Maastricht am 7. Februar 1992 hatte die EU-Spitze noch ausdrücklich versprochen, diese Verträge würden nur die Bereiche der Aussenpolitik und der gemeinsamen Sicherheit betreffen. Die Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten sollten «unabhängig» bleiben. Die Wirtschaftskrise 2008 2010 lieferte den EU-Verantwortlichen den geeigneten Vorwand, um ihr eigenes Versprechen zu brechen und das politische Gewicht der einzelnen EU-Staaten weiter zu vermindern. Es ist nicht von ungefähr, dass die EU kürzlich von Griechenland die Liberalisierung von Staatsbetrieben verlangte. Diese Aufforderung war als «Gegenleistung» des griechischen Staates für die empfangene Wirtschaftshilfe der EU gedacht.
– Viele gute Bibellehrer sind sich darin einig, dass das vierte Weltreich, das Daniel in Kapitel 2 seines Buches nennt, für das römische Weltreich steht. Eine der tragenden Säulen dieses Reiches war das Römische Recht mit seiner phänomenalen Ordnung. Das heutige europäische Recht ist stark vom römischen Recht beeinflusst.
Zieht man all diese Faktoren in Betracht, begreift man, weshalb schon Frankreichs damaliger Staatspräsident Mitterrand Mitte der 1990er Jahre im Hinblick auf Europa sagen konnte: «Nous n’attendons que l’homme.» (Wir warten nur noch auf den richtigen Mann, d.h. denjenigen, der Europa auf weltweiter Ebene zur Führungsstellung verhelfen wird.)
Wir sehen also, dass die Zeichen der Zeit im Licht des prophetischen Wortes anders gedeutet werden sollten, als die Medien es uns glauben machen wollen. Die Wachstumsfaktoren des Islam mögen statistisch beeindruckend sein, sie haben aber eher kurzfristige Wirkung. Europas Wachstumsfaktoren dagegen sind struktureller Art und auf Nachhaltigkeit angelegt. Nicht der Islam ist im Aufwind und Europa in der Krise, sondern eher umgekehrt.
Von Peter Bertschinger