Im 1. Timotheusbrief zeigt der Apostel Paulus auf, «wie man sich verhalten soll im Hause Gottes, welches die Versammlung des lebendigen Gottes ist, der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit». Lesen Sie hier Teil 14.
Wir müssen davon ausgehen, dass die Gemeinde zur Zeit der Apostel besonders beansprucht war, gerade was die soziale Versorgung anbetraf (Apg 6,1-7). Es gab mittellose Menschen, Sklaven, Witwen und Alleinstehende. Man hatte mit Verfolgung und Trennungen in der Familie um des Glaubens willen zu tun. Es existierten weder Renten noch Sozial- oder Lebensversicherungen und auch keine Krankenkassen usw. Die Botschaft des Evangeliums sollte verbreitet werden und Reiseevangelisten mussten unterstützt werden (3.Joh 5-8). Daher mussten verständlicherweise Prioritäten herausgearbeitet und Notwendiges von nicht Notwendigem unterschieden werden. Die Gemeinde musste mit ihrem Geld haushalten. Man konnte nicht wahllos oder unüberlegt mit den Finanzen umgehen. Wir sehen daran, wie sich die Vernunft mit dem Geist Gottes verknüpft. Ganz in diesem Sinn sollten wir auch die Anordnungen in 1. Timotheus 5 betrachten.
Paulus ruft dazu auf: «Ehre die Witwen, die wirklich Witwen sind» (V 3). Da drängt sich natürlich die Frage auf, ob es auch Witwen gibt, die keine Witwen sind. Ja! Dies ist der Fall, wenn es noch Familienangehörige gibt, die für sie sorgen können: «Wenn aber eine Witwe Kinder oder Enkel hat, so sollen diese zuerst lernen, am eigenen Haus gottesfürchtig zu handeln und den Eltern Empfangenes zu vergelten; denn das ist gut und wohlgefällig vor Gott. … Wenn aber jemand für die Seinen, besonders für seine Hausgenossen, nicht sorgt, so hat er den Glauben verleugnet und ist schlimmer als ein Ungläubiger» (V 4.8). Nicht die Gemeinde, sondern die eigenen Familienmitglieder waren in erster Linie für den Unterhalt der Witwe verantwortlich.
Ausserdem gab es offensichtlich aussenstehende Gläubige, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, sich um Witwen zu kümmern, obwohl sie nicht zu deren Familien gehörten. «Wenn ein Gläubiger oder eine Gläubige Witwen hat, so soll er sie versorgen, und die Gemeinde soll nicht belastet werden, damit diese für die wirklichen Witwen sorgen kann» (V 15). Wir ersehen daraus, dass die Gemeinde nur dann einsprang, wenn die ersten beiden Möglichkeiten nicht gegeben waren. Es gibt drei Arten der Witwenschaft.
1. Wirkliche Witwen: «Eine wirkliche und vereinsamte Witwe aber hat ihre Hoffnung auf Gott gesetzt und bleibt beständig im Flehen und Gebet Tag und Nacht» (V 5).
Eine wirkliche Witwe ist eine vereinsamte, für die keine Familienangehörigen mehr sorgen (V 4.8) und um die sich auch keine wohlhabenden anderen Christen kümmern (V 16). Diese wirklichen Witwen sind aber geistlich noch tätig:
– Sie setzen ihre Hoffnung auf Gott.
– Sie bleiben beständig im Gebet und im Flehen (sie beten nicht nur, sie ringen auch darin, sie flehen).
Weiter ist eine wirkliche Witwe eine Frau, die sich im christlichen Leben tatkräftig bewährt hat: «Eine Witwe soll nur in die Liste eingetragen werden, wenn sie nicht weniger als 60 Jahre alt ist, die Frau eines Mannes war und ein Zeugnis guter Werke hat; wenn sie Kinder aufgezogen, Gastfreundschaft geübt, die Füsse der Heiligen gewaschen, Bedrängten geholfen hat, wenn sie sich jedem guten Werk gewidmet hat» (V 9-10).
Eine Witwe sollte erst ab 60 Jahre in die Liste eingetragen werden. 60 Jahre war sowohl nach jüdischer Vorstellung als auch im Römischen Reich die Grenze zum Altsein. Diese verbreitete Richtlinie hat Paulus dann auch übernommen.
«Frau eines Mannes»: Hiermit wird auf die Treue einer Frau angespielt, gleich den Voraussetzungen eines Ältesten in Kapitel 3,2, der der Mann einer Frau sein musste. Diese Qualifikation betont den moralischen Aspekt. Man grenzte sich damit von den üblichen Gepflogenheiten einer heidnischen Gesellschaft ringsum ab.
«Zeugnis guter Werke»: Dieses Zeugnis erweist sich in den folgenden fünf Aussagen:
1. «Wenn sie Kinder aufgezogen hat»: Hierbei geht es nicht darum, dass sie unbedingt Kinder gehabt haben muss. Sonst wäre ja jede kinderlose Ehefrau von der Versorgung ausgeschlossen. Es geht vielmehr darum, dass die Kinder, die sie gehabt hat, auch erzogen worden sind. Nicht selten sieht man an den Kindern, wie es bei ihnen zu Hause aussieht, wie sie erzogen werden, ob die Eltern sich um sie kümmern oder sie verwahrlosen lassen. Es wird eine Frau beschrieben, die sich zuerst vorbildlich um die Familie gekümmert hat, die gesorgt, versorgt, grossgezogen und erzogen hat.
Hierfür ein Beispiel: Ein italienischer Schriftsteller will ein Buch über die Jugendkriminalität schreiben. Er ruft gegen 23 Uhr zwölf wohlhabende Familien an, um die Eltern zu fragen, ob sie wüssten, wo ihre Kinder jetzt seien. Bei seinen ersten sechs Anrufen meldeten sich Kinder, die keine Ahnung hatten, wo sich ihre Eltern befanden.
2. «Gastfreundschaft geübt»: Achten wir auf die Reihenfolge. Zuerst geht es um die eigene Familie («Frau eines Mannes» und «Kinder aufgezogen»). Dann geht es um die Menschen ausserhalb der Familie, wobei die Gastfreundschaft ein wichtiger Bestandteil ist.
3. «Die Füsse der Heiligen gewaschen»: Das beschreibt die aufopfernde Hingabe zum Wohl der andern und die darin erzeigte Jesusähnlichkeit; sie ist sich für keinen Dienst zu schade. So erklärte der Herr, nachdem Er Seinen Jüngern die Füsse gewaschen hatte: «Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füsse gewaschen habe, so sollt auch ihr einander die Füsse waschen; denn ein Vorbild habe ich euch gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Der Knecht ist nicht grösser als sein Herr, noch der Gesandte grösser als der ihn gesandt hat. Wenn ihr dies wisst, glückselig seid ihr, wenn ihr es
tut!» (Joh 13,14-17).
4. «Bedrängten geholfen»: Es geht dabei um Bedrängnisse aller Art. Es kann familiäres Leid bedeuten, es kann sich um körperliche Leiden handeln. Es können Verfolgte, Trauernde, aber auch psychisch Bedrängte sein.
5. «Sich jedem guten Werk gewidmet hat»: Das sind Frauen, die über ihre Grenzen hinaus einen Blick dafür hatten, andern wohlzutun. Sie sind sich keiner Last zu schade und betätigen sich immer wieder für allerlei Aufgaben innerhalb und ausserhalb der Gemeinde. Man denke hier auch an Tabitha, über die es heisst: «In Joppe aber war eine Jüngerin namens Tabitha, was übersetzt ‹Gazelle› heisst; diese war reich an guten Werken und Wohltätigkeit, die sie übte» (Apg 9,36). Die Gemeinde hat die Verantwortung, für solche Witwen zu sorgen. Sie sollen in die Versorgungsliste aufgenommen (1.Tim 5,9) und betreut werden (vgl. V 16).
Wie können wir aus diesen Versen für heute Nutzen ziehen? Heutzutage werden drei von vier Ehefrauen irgendwann Witwen. In unseren Gemeinden befinden sich viele Frauen, die ihren Ehemann verloren haben. Bietet die Gemeinde solchen Frauen die Möglichkeit zur geistlichen Mitarbeiterschaft, zum Dienst? Werden sie gefördert und motiviert, ihre Gaben und Fähigkeiten einzusetzen? Kümmert man sich um sie, werden sie besucht? Oder werden sie, wenn nötig, zu den Gottesdiensten abgeholt?
2. Nicht wirkliche Witwen: «Eine genusssüchtige jedoch ist lebendig tot. Sprich das offen aus, damit sie untadelig sind!» (V 6-7).
Es war aller Wahrscheinlichkeit nach so, dass sich auch Witwen in die Versorgungslisten eintragen liessen, die nicht gewillt waren, die Gemeinde mitzutragen und in ihr mitzuarbeiten. Nehmen, aber nicht geben, war ihre Haltung. Ihnen ging es nur um sich selbst, und davor warnt die Bibel. Die Bibel nennt sie «lebendig tot», weil sie wohl gläubig waren, aber nicht danach lebten. Timotheus sollte das offen aussprechen. Warum? Damit die wirklichen Witwen untadelig blieben und nicht in Versuchung gerieten, ebenso zu handeln oder falsch zu denken.
Es könnte ja sein, dass sich die wirklichen Witwen dachten: «Sieh mal, sie erhalten die gleiche Witwenzulage wie wir, aber tun rein gar nichts dafür. Wir arbeiten mit, wir beten und flehen – und sie werden genauso versorgt und mitgetragen, machen sich aber einen schönen Tag!»
Ist es nicht manchmal so, dass in der Gemeinde mitarbeitende Geschwister nach einiger Zeit in Versuchung geraten können, ähnlich zu denken oder gar zu reden? «Warum rackere ich mich eigentlich immer so ab? Es sind immer dieselben, die hier die Arbeit machen und den Karren ziehen. Es sind dieselben, die immer zu jeder Gebetsstunde gehen, die Besuchsdienste machen, einladen und zu jedem Dienst bereit sind. Alles hängt hier immer wieder an denselben Personen. Die anderen machen sich ein bequemes Leben. Sie halten ihre Arbeit in Grenzen, aber sobald es ums Geniessen geht, sind sie auch dabei. Getan haben sie aber wenig. «Ich glaube, das mache ich auch mal. Ich bin doch nicht verrückt, ich hab keine Lust mehr!» Damit solchem Denken und Reden ein Riegel vorgeschoben wird, wurden diese Sätze in 1. Timotheus 5,6-7 geschrieben.
3. Junge Witwen: «Jüngere Witwen aber weise ab; denn wenn sie gegen den Willen des Christus begehrlich geworden sind, wollen sie heiraten und kommen damit unter das Urteil, dass sie die erste Treue gebrochen haben. Zugleich lernen sie auch untätig zu sein, indem sie in den Häusern herumlaufen; und nicht nur untätig, sondern auch geschwätzig und neugierig zu sein; und sie reden, was sich nicht gehört. So will ich nun, dass jüngere Witwen heiraten, Kinder gebären, den Haushalt führen und dem Widersacher keinen Anlass zur Lästerung geben; denn etliche haben sich schon abgewandt, dem Satan nach» (V 11-15).
Jüngere Witwen sollen nicht in das Versorgungsverzeichnis für Witwen aufgenommen werden. Dafür werden zwei Gründe genannt:
1. «Denn wenn sie gegen den Willen des Christus begehrlich geworden sind, wollen sie heiraten.» Dies ist eine recht schwierig zu verstehende Aussage, die wir am besten erklären können, wenn wir sie mit 1. Korinther 7,8-9 vergleichen: «Ich sage aber den Ledigen und den Witwen: Es ist gut für sie, wenn sie bleiben wie ich. Wenn sie sich aber nicht enthalten können, so sollen sie heiraten; denn heiraten ist besser als in Glut geraten.»
Wir müssen bedenken, dass der erste Korintherbrief wesentlich früher geschrieben wurde als der erste Timotheusbrief: 1. Korinther um 56 n.Chr. und 1. Timotheus um 64 n.Chr. Was bedeutet das? Dass viele der Gemeinde in Ephesus, wo ja Timotheus seinen Dienst versah (1,3), wahrscheinlich gemäss dem 1. Korintherbrief unterrichtet waren. Es ist durchaus möglich, dass einige aufgrund von 1. Korinther 7,8 ein voreiliges Gelübde abgelegt hatten, als Witwen ehelos zu bleiben. Dabei hatten sie aber der zweiten Aussage des Apostels in Vers 9 zu wenig Beachtung geschenkt. Statt voreilig solch ein Gelöbnis abzulegen, ohne es einhalten zu können, sollten sie besser möglichst schnell wieder heiraten. Andernfalls würden sie unter das Urteil kommen, die erste Treue gebrochen zu haben: nämlich ihr Gelöbnis vor Christus, ehelos zu bleiben.
Eigentlich geht es in den beiden Abschnitten in 1. Korinther und 1. Timotheus um dasselbe. Die beiden Stellen harmonisieren miteinander und ergänzen sich. Da jedoch vielleicht einige mit der Aussage in 1. Korinther falsch umgegangen sind, führt Paulus das Ganze im 1. Timotheusbrief noch etwas weiter aus. Es gab junge Witwen, die in die Versorgungsliste aufgenommen werden wollten, ohne wirklich mitzuarbeiten. Stattdessen hatten sie Zeit für alle möglichen Taten und Untaten und sie befassten sich mit dem Gedanken, doch wieder zu heiraten.
2. Wenn junge Witwen auf der Versorgungsliste der Gemeinde standen, dann waren sie versorgt und hatten viel Zeit. Sie hatten es kaum nötig, zu arbeiten und wurden untätig. Die Zeit vertrieben sie sich damit, andere Familien oder Freundinnen zu besuchen. Dadurch wurden sie geschwätzig und neugierig und liessen sich hinreissen, manches zu sagen, was sich nicht gehörte (V 13).
Statt durch ein vorschnelles Gelübde in solche Fallstricke des Teufels zu geraten, sollen junge Witwen lieber gleich wieder heiraten. So können sie den oben erwähnten Gefahren entgehen (V 14-15). Diese Ermahnung geht in die gleiche Richtung wie die Aussagen zum Verhalten gläubiger Frauen in 1. Timotheus 2,9-15.
Von Norbert Lieth