Bis zum 4. Jahrhundert war das Christentum im Römischen Reich illegal. Obwohl die Ersatztheologie sich in der Kirche ausgebreitet und antisemitische Metastasen gebildet hatte, konnte die Kirche nichts tun ausser gegen das jüdische Volk zu reden. Das änderte sich im Jahr 313 n.Chr., und der Katalysator war ein Herrscher Namens Konstantin.
Der junge Konstantin gehörte zum Hof von Kaiser Diokletian. Als er im Jahr 312 n. Chr. seine Truppen für die Schlacht an der Milvischen Brücke aufstellte, behauptete er, eine Vision von einem Kreuz im Sonnenlicht gehabt zu haben. Deshalb betete er zu dem Gott der Christen, setzte christliche Symbole auf sein Banner und errang einen überraschenden Sieg über einen älteren und erfahreneren General.
Bald wurde Konstantin Kaiser des Römischen Reiches und erliess das Edikt von Mailand (313 n. Chr.), mit dem das Christentum legalisiert und die Kirche unter römische Autorität gebracht wurde. Dies war ein einschneidender Wendepunkt in der Kirchengeschichte. Die Geistlichen wurden auf die Lohnlisten des Römischen Reichs gesetzt und die Kirche, die gerade noch unbarmherzig verfolgt wurde, war jetzt ein Teil des Staates.
Acht Jahre später wurde das Christentum die offizielle Staatsreligion, und nur 60 Jahre später wurde es die alleinige Religion im Römischen Reich.
Der Aufstieg der Römisch-katholischen Kirche
Weil Rom der Sitz der Macht war, gewann die Gemeinde in Rom an Bedeutung und der Bischof von Rom wurde der mächtigste Führer im westlichen Teil der Reiches. Später wurde er als der Papst bekannt und hatte mehr Macht als der Kaiser. Und als die Römisch-katholische Kirche an Einfluss zunahm, wurde sie sogar mächtiger als die europäischen Regierungen. In dem Glauben, dass die Juden verflucht seien und dass die Christen das neue auserwählte Volk Gottes seien (die Lehren der Ersatztheologie), stiftete sie zur Verfolgung des jüdischen Volkes an.
Als Erstes kamen Gesetze auf, die Synagogen verboten und es erlaubten, Juden zu verbrennen, wenn sie das Gesetz gebochen hatten. Juden wurden hohe Ämter unzugänglich gemacht, in anderen Positionen wurden sie eingeengt und man zwang sie sonntags ihre Geschäfte zu schliessen. Weil religiöse Juden auch samstags ihre Geschäfte schlossen, half dieses Gesetz den nicht-jüdischen Händlern.
Ausserdem war es den Juden verboten, in Jerusalem zu leben und der Sonntag wurde zum Sabbat erklärt, obwohl Gottes Wort den siebten Tag zum Tag der Ruhe macht (2. Mose 20:9-14). Die Kirche verbot ausserdem, dass Ostern während des Passafestes gefeiert wurde, an dem Jesus tatsächlich starb und auferstand. Juden durften nicht gegen Nichtjuden prozessieren und Christen durften ihre Kinder nicht mit Juden verheiraten. Aber all diese Restriktionen waren noch nicht genug.
Im Jahr 415 kam es zu einem weiteren Wendepunkt und der Antisemitismus drückte sich nicht mehr nur in Worten aus, sondern wurde tätlich.
Gewalt und Tod
Im Jahr 415 führte Kyrill, das Kirchenoberhaupt in Alexandria, einen brutalen antijüdischen Aufstand im jüdischen Viertel der Stadt an. Christen schlugen Juden, vergewaltigten Frauen, ermordeten Männer, raubten jüdisches Eigentum und trieben die Juden aus der Stadt. Von diesem Zeitpunkt an wucherte der Antisemitismus. Es ist buchstäblich unmöglich, all die grausamen, brutalen und erbarmungslosen Taten zu zählen, die Gottes auserwähltem Volk angetan wurden.
Während der Kreuzzüge vom 11. bis 13. Jahrhundert zogen christliche Armeen durch Europa und mordeten die Juden, vergewaltigten ihre Frauen und brannten ihre Dörfer nieder. Die Kirche erfand gemeine Lügen über die Juden und redete den Leuten ein, die Juden seien der Grund für alles Übel. Wenn eine Seuche ausbrach, gab man den Juden die Schuld. Man konnte oft hören, dass die Juden das Wasser vergiftet hätten oder sonst wie verantwortlich seien für alle Krankheiten und Todesfälle unter den Nichtjuden.
Es war nicht von Bedeutung, dass unter den Juden genauso viele Menschen starben. Trotzdem gab man den Juden die Schuld. Logik und Vernunft spielten keine Rolle. Unverschämte Lügen verbreiteten sich immer weiter, so wie Behauptung, die Juden würden christliche Kinder stehlen und mit deren Blut die Matze, das ungesäuerte Brot, für ihre Feste backen. Niemals war so etwas je bewiesen.
Aber diese Lügen überschwemmten Europa. Das jüdische Volk wurde zum Sündenbock für jede wirtschaftliche oder politische Not. Und sie wurden geschlagen, ausgeraubt, ermordet und verstümmelt. Besonders schlimm war es für die Juden zu Ostern, wenn sie in Passionsspielen als „Christusmörder” verunglimpft wurden und es auf dem ganzen Kontinent zu Judenmorden kam.
Jesus selbst aber hat nie den Juden die Schuld an seinem Tod gegeben. Er erklärte: „Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, damit ich es wieder nehme. Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir aus. Ich habe Vollmacht, es zu lassen, und habe Vollmacht, es wieder zu nehmen. Diesen Auftrag habe ich von meinem Vater empfangen.“ (Johannes 10:17-18).
Tatsächlich war es die Hand eines Heiden, die Ihn ans Kreuz nagelte, nicht die eines Juden. Die Schrift nennt Jesus das vollkommene sündlose Lamm Gottes, gestorben als Opfer für uns alle. Wir sind alle schuldig am Kreuzestod des Christus.
Aber die Ersatztheologie hat einen derartig bösen Antisemitismus angefacht, dass dem jüdischen Volk mehr schreckliche und gottlose Dinge angetan wurden, als jedem anderen Volk in der Geschichte der Welt.
Konvertieren, vertreiben, töten
Wir stehen alle tief in der Schuld von Martin Luther. Er und die anderen Reformierer standen auf gegen die damalige Tyrannei der Römisch-katholischen Kirche. Als Luther sich von ihr abwandte, gründete er die Kirche, die später lutherisch genannt wurde. Zuerst war diese Kirche freundlich den Juden gegenüber, weil Luther glaubte, dass das jüdische Volk das Christentum wegen der Korruption in der römischen Kirche ablehnte. Wenn sie das wahre Christentum sähen, das allein auf dem Glauben basiert, würden sie es annehmen, so glaubte er.
Aber das taten sie nicht. Und als Luther älter wurde, wurde er ein radikaler Antisemit. Seine Bücher Von den Juden und ihren Lügen und Der unaussprechliche Name verurteilten die Juden und ermunterten die Menschen, die Synagogen der Juden niederzubrennen, ihre Häuser zu zerstören und ihr Vermögen an sich zu reissen und sie hart arbeiten zu lassen. Einige hundert Jahre später benutzte Adolf Hitler die Schriften Martin Luthers, des berühmten Sohnes Deutschlands, um in seinem Buch Mein Kampf seinen Standpunkt gegen die Juden zu rechtfertigen. Hitler folgte Luther in allem, aber er setzte noch etwas hinzu: Mord.
Das Leben in Europa war für die Juden schon immer gefährlich. Die Legende vom Ewigen Juden (oder Wandernden Jude) entstand aus dem organisierten Christentum. In der Geschichte hatte die Kirche drei Arten, mit den Juden umzugehen: Man konvertierte sie, man stiess sie aus oder man tötete sie.
Wenn Juden sich in einer Gegend niederliessen, wurden sie zuerst akzeptiert und freundlich aufgenommen. Aber mit der Zeit änderten sich die Dinge. Die Christen fühlten sich verpflichtet, Juden zu konvertieren. Schliesslich klang ihr Angebot so: „Möchtest du heute Christ werden oder möchtest du lieber sterben?” Viele wählten den Tod.
Sich zum Christentum zu bekehren bedeutete nicht, seine Sündhaftigkeit zu erkennen, im Herzen zu glauben, dass Jesus bereitwillig unsere Strafe am Kreuz auf sich nahm und an Ihn zu glauben, dass er die Sünden vergibt – so wie wir glauben. Es bedeutete, getauft zu werden und ein Kirchenmitglied zu werden. Wenn Juden ablehnten, wurden sie aus dem Land gejagt. Oft wanderten sie von Ort zu Ort, heimatlos und verfolgt, unfähig, Wurzeln zu bilden.
Der jüdische Historiker Solomon Grayzel schrieb: „Theoretisch sollten das Christentum und das Judentum befreundet nebeneinander existieren. Aber die Juden wurden Opfer von Angriffen und Degradierung. Viele wurden getötet. Wenn ihnen alle wirtschaftlichen Möglichkeiten geraubt waren, wurden sie vertrieben und gezwungen, umherstreifend eine neue Heimat zu suchen. Alle Länder, die an den atlantischen Ozean grenzen, vertrieben die Juden. In Deutschland und Italien wurden sie gezwungen, in Ghettos zu leben.“
Als Vertreibung den Christen nicht mehr genügte, begann die Eliminierung. Tausende Juden wurden ermordet. Dann kam Hitler, dessen „Endlösung” für das “jüdische Problem” war, sie alle zu töten.
Bis heute glauben die Juden, dass der Holocaust des Zweiten Weltkriegs von Christen verübt wurde. Hitler war zwar selbst kein echter Christ, aber viele von denen, die für ihn arbeiteten, waren es. Sie waren Wächter in Konzentrationslagern. Sie waren Soldaten. Sie waren Mitglieder der Hitlerjugend. Und die meisten guten Christen in Deutschland leisteten keinen Widerstand gegen das, was vor sich ging.
Die Ersatztheologie ist zwar nicht an sich böse, aber sie wurde ein gefährliches Werkzeug des Teufels. Sie veränderte die Haltung der Christen gegenüber dem jüdischen Volk, schürte Verachtung für Israel und machte aus der Heiligen Schrift, das ein jüdisches Buch ist, ein nichtjüdisches Buch. Sie veränderte ausserdem den Sinn in der Schrift, besonders in der Eschatologie – der Lehre von der Zukunft, wie wir sehen werden.
Von James A. Showers