06.09.2012

Das Babel-Prinzip

Ein Hochhausindex behauptet: Immer, wenn Rekordhochhäuser gebaut werden, droht eine Finanzkrise. Dies ist nicht ohne Ironie.

Die Neue Zürcher Zeitung berichtete: «Im vorletzten Jahr wurde das höchste Gebäude der Welt in Dubai fertiggestellt, doch schon im Jahr 2007 hatte es den Turm Taipeh 101 überholt. Fast gleichzeitig begann die weltweite Finanzkrise, und so ist Dubai inzwischen praktisch bankrott. (…) Für Andrew Lawrence von der Bank Barclays (…) ist das kein Zufall, sondern ein ökonomisches Gesetz. (…) Als Beweis für seine These verweist Lawrence auf Beispiele in den letzten rund 100 Jahren. So sei der Wettlauf um das höchste Hochhaus in New York mit dem Chrysler Building 1930 und dem Empire State Building 1931 zeitlich mit dem grossen Börsenkrach 1929 zusammengefallen. Die Eröffnung der Twin Towers in New York 1972/73 und des Sears Tower in Chicago 1974 wurde begleitet vom Zusammenbruch des damaligen Finanzsystems und von der Erdölkrise. Auf die Errichtung des Petronas Towers 1997 folgte die Asienkrise.»

Zu diesen Beispielen könnte man noch das allererste Beispiel überhaupt anführen, nämlich den Turmbau zu Babel. Diesen sollte man aber um des Prinzips willen besser den Turmfall zu Babel nennen. Auch dieses von Menschenhand errichtete «Hochhaus» war mit einer grossen Krise verbunden. Es kam zu einem gewaltigen Umbruch, zu einer Sprachenkrise und zur Zerstreuung der Menschen.

Der grosse Operntenor Placido Domingo hat einmal gesagt: «Wer glaubt, ganz oben zu sein, ist schon auf dem Weg nach unten.» Das Babel-Prinzip reflektiert den grenzenlosen Hochmut des Menschen. Er will buchstäblich hoch hinaus, höher als alle anderen vor ihm, und vor allem aus eigener Kraft und ohne Gott. Wer das höchste Gebäude hat, ist der Grösste – nur so erklären sich die Wettläufe zu immer gigantischeren Objekten.

Ein Beispiel dafür ist das im Sommer eingeweihte Hochhaus «The Shard» in London. Spiegel Online berichtete: «Es ist das höchste Haus Europas und soll das neue Wahrzeichen der Stadt werden. Der pyramidenförmige Wolkenkratzer mit Glasfassade ist fast 310 Meter hoch, wie die Bauträgerfirma mitteilte. Damit überholt der wegen seiner zackigen Spitze ‹The Shard› (auf Deutsch: die Scherbe) genannte Wolkenkratzer den Capital City Tower in Moskau als höchstes Haus Europas. Allerdings wird der noch nicht fertige Mercury City Tower in Russlands Hauptstadt bald mit 332 Metern noch höher werden.»

Das ist bemerkenswert, wenn man die gegenwärtigen Turbulenzen in der europäischen Wirtschaft bedenkt. So wird für die nahe Zukunft ein dramatischer Absturz der Weltwirtschaft befürchtet: Die Finanzplätze London und New York gerieten stark ins Wanken und müssten zusammen mit Japan erkennen, dass sie mit ihrem Latein am Ende seien.

Wolkenkratzer sind eine Art Statussymbol: Wir sind die Reichsten, die Fortschrittlichsten, die Modernsten, die Mächtigsten, die Klügsten und die Grössten. Doch der wahrhaft Allmächtige gibt darauf eine ganz sachliche Antwort: «Stolz kommt vor dem Zusammenbruch, und Hochmut kommt vor dem Fall» (Spr 16,18). Das scheint ein geistliches Gesetz zu sein, ähnlich wie ein Naturgesetz. Das Gesetz über Hochmut lehrt uns, dass Hochmut unweigerlich den Fall nach sich zieht. «Wer auf seinen Reichtum vertraut, der wird fallen; die Gerechten aber werden grünen wie das Laub» (Spr 11,28).

In diesem Zusammenhang ist interessant, dass der oben erwähnte Finanzexperte Lawrence meint, es sei eine allgemeine falsche Allokation von Kapital in Hochbauten zu beobachten. Es käme zu einer Fehlplatzierung von Kapital und daraufhin zu einer Korrektur durch die Märkte: «Es kommt zu einer Blasenbildung und dann zum Platzen der Blase.»

Vor dem Turmfall zu Babel machte Gott die Feststellung: «Siehe, sie sind ein Volk, und sie sprechen alle eine Sprache, und dies ist erst der Anfang ihres Tuns! Und jetzt wird sie nichts davor zurückhalten, das zu tun, was sie sich vorgenommen haben» (1.Mo 11,6). Der Mensch strebt in seiner Unabhängigkeit von Gott immer höher hinaus und kennt dabei keine Grenzen. Diesem Hochmut stellt sich Gott entgegen, indem Er so manche Krise zulässt, damit wir erkennen, dass wir Ihn, den wahrhaft Grössten, brauchen.

Von Norbert Lieth