Regen prasselte gegen die
Scheibe. Es war dunkel draussen. Ein Mann stand am Fenster. Erwartungsvoll
schaute er in die Nacht hinaus. Er dachte an die Wiederkunft seines Herrn Jesus
Christus. Sein Herz brannte. Er glaubte fest daran, dass Jesus zu seinen
Lebzeiten wiederkommen würde. Ja, er war ein Mann, der die Erscheinung des
Herrn wirklich lieb hatte (2.Tim 4,8). Inzwischen hat sein Herr ihn geholt …
auf natürlichem Weg, durch den Tod. Seitdem sind viele Jahre vergangen. Er hat
ein Vermächtnis hinterlassen: Viele Bücher, Botschaften und Artikel über die Wiederkunft
seines geliebten Herrn und Heilandes Jesus Christus. Doch bis heute ist der
Herr nicht wiedergekommen.
Es war wohl in den 1970er
und 1980er Jahren, als die gesamte Christenheit – so scheint es – von einer
fiebrigen Erwartung der Rückkehr Jesu erfasst wurde. Auf zahlreichen Kanzeln
wurde Seine baldige Wiederkunft verkündigt. Filme, Bücher, Traktate, CDs,
Kassetten wurden zum Thema veröffentlicht. Die Zeichen der Zeit waren eindeutig.
Israel hatte wieder einen eigenen Staat in seiner jahrtausendealten Heimat. Das
war ein beispielloses Gotteswunder! Die Juden hatten ausserdem ganz Jerusalem
eingenommen. Sie schienen unbesiegbar. Es war wirklich wahr: Gott hatte Israel
nicht verworfen. Jetzt konnte es jeder mit seinen eigenen Augen sehen. Die
politischen Ereignisse schienen eine punktgenaue Erfüllung biblischer Prophetie
zu sein. Europa strebte immer mehr nach Einheit. Das Römische Reich erwachte.
Die Drohung, die von der grossen UdSSR ausging, musste doch eine prophetische Bedeutung
haben. Sicherlich hatte man es hier mit Gog aus Magog zu tun …
Jahrzehnte später: Die EU
wackelt. Die Sowjetunion war doch nicht so gross und mächtig, wie sie sich gab.
Israel hat seinen Nimbus der Unbesiegbarkeit verloren. Die Teilung des Landes
und Jerusalems scheint nur eine Frage der Zeit zu sein. Es sind mittlerweile
Dinge geschehen, die die besten Ausleger der biblischen Prophetie nicht
vorausgesehen haben, zum Beispiel die Eurokrise oder den Arabischen Frühling.
Inzwischen ist eine neue
Generation von Christen herangewachsen. Neue Prediger besteigen die Kanzeln.
Diese jungen Männer, geboren in den 1970er und 1980er Jahren, haben oft wenig
Verständnis für den – wie sie es verächtlich nennen – «Endzeitwahn» ihrer
Väter. Sie interessieren sich mehr für das erste Kommen ihres Herrn, als für
Sein zweites Kommen. Themen wie Entrückung oder Israel haben an Bedeutung
verloren. Die neuen Calvinisten mit ihrer Betonung des Evangeliums, der Gemeinde
und Systematischen Theologie gewinnen derzeit an unerwarteten Zuwachs.
Hat uns die Vergangenheit
etwa gelehrt, dass eine intensive Auseinandersetzung mit den Letzten Dingen nur
leidlich relevant ist und letztendlich falsche Hoffnungen weckt? Ich glaube
nicht. Die Betonung des Evangeliums ist sehr positiv. Der Wunsch nach
Nüchternheit und Verzicht auf Spekulation spricht mir aus dem Herzen. Aber
meine Generation, die sich durch die vermeintlichen Mutmassungen vieler ihrer
Glaubensvorbilder enttäuscht sieht, läuft Gefahr, gerade so unnüchtern zu
werden wie sie es ihren Vätern vorwirft – und zwar in die andere Richtung: Auf
einmal ist zukunftsbezogene Prophetie überhaupt nicht mehr wichtig. Jetzt
heisst es: Ja, Jesus kommt wieder, irgendwann, darauf freuen wir uns schon,
irgendwie, aber der Rest ist nicht so wichtig. Entrückung? «Gibt es vielleicht doch
nicht.» Israel? «Wurde vielleicht doch durch die Gemeinde ersetzt.» Trübsal?
«Hat vielleicht doch schon stattgefunden.» Tausendjähriges Reich? «Ist vielleicht
doch kein Thema, über das man sich den Kopf zerbrechen sollte.» Jesus kommt
bald? «Na und.» Wirklich?
Bei allem, was man den
begeisterten Prophetie-Experten der Vergangenheit auch vorwerfen könnte, sie
hatten doch ein grosses Verlangen nach der Wiederkunft unseres Erlösers. Und
dieses Verlangen sollte jeder Christ haben. Meine Generation darf die Prophetie
der Bibel nicht vergessen oder vernachlässigen, nur weil Männer, die Jesus und
Seine Erscheinung über alles liebten, sich auch irrten. Es ist Zeit, dass wir zurückkehren
zum brennenden Verlangen unserer Väter nach der Wiederkunft unseres Herrn Jesus
Christus. Wir können aus ihren Fehlern lernen, ohne dabei ihre Errungenschaften
zu unterschlagen. Dies ist mein bescheidener Aufruf …
Von
René Malgo