Zu einem biblischen
Verständnis von Josua 21,43-45. Teil 7.
Im Lauf der Jahrhunderte
haben Menschen immer wieder mit der Frage gerungen, wie die Aussage über die unvollständige
Eroberung in Josua 13,1 mit Josua 21,43-45 zu vereinbaren ist, wo angeblich die
vollständige Landnahme verkündigt wird. So auch Johannes Calvin: «Um diesen
scheinbaren Widerspruch aufzulösen, ist es notwendig, zwischen der bestimmten, klaren
und festen Treue Gottes im Halten seiner Verheissungen einerseits und der Verweichlichung
und Trägheit des Volkes andererseits zu unterscheiden, die dazu führte, dass
ihnen der Vorteil der göttlichen Güte gewissermassen entglitt … Deshalb wurde
die Wahrheit Gottes sichtbar und greifbar, auch wenn sie nicht alle ausrotteten
und deren Besitz übernahmen; sie hätten ohne alle Schwierigkeiten auch den Rest
in Besitz nehmen können, wenn es ihnen gefallen hätte, von den ihnen
angebotenen Siegen Gebrauch zu machen.»
Dale Ralph Davis
berücksichtigt den anscheinenden Konflikt zwischen den zwei Texten und gibt
folgende Einschätzung: «… nämlich, dass noch viel Land übrig war, das noch in
Besitz genommen werden musste (13,1), und dass da noch Feinde waren, die Israel
nicht vertrieben hatte (z.B. 16,10; 17,12-13). Doch erinnern wir uns, dass der
biblische Autor … diese anderen Faktoren kannte, und hätte er hierin einen direkten
Widerspruch zu 21,43-45 gesehen, hätte er diesen sicher bemerkt (und vermutlich
angesprochen). Offensichtlich spürte der biblische Autor hier keine unerträgliche
Reibung … Jahwe hatte Israel das ganze Land gegeben (V 43a) – das wird bezeugt
durch die Tatsache, dass sie das Land besassen und darin lebten (V 43b). Das
widerspricht nicht der Tatsache, dass sie davon mehr hätten besitzen können
(vgl. 2.Mo 23,30).»
Frederick J. Mabie bietet
eine Harmonisierung des vermeintlichen Widerspruchs zwischen Josua 13,1 und 21,43-45:
«Ungeachtet der Realität nichteroberter Gebiete wird auf Befehl Jahwes das ganze
Land durch das Los unter die Stämme aufgeteilt (Jos 13,6); so ist ihnen das
ganze Land gegeben, wie Jahwe es verheissen hatte (vgl. Jos 21,43-45). Diese
Wechselbeziehung zwischen gegebenem und unerobertem Land kommt in Josuas Ermahnung
an die Leiterschaft Israels in Josua 23 schön zum Ausdruck: ‹Und es geschah nach
langer Zeit, als der Herr Israel Ruhe verschafft hatte vor all seinen Feinden
ringsum …› Diese Rede spricht von Israels Siegen im Land und betont, dass
alles, was Jahwe verheissen hatte, ‹für euch eingetroffen› ist; gleichzeitig stellt
sie aber auch klar, dass ein Teil des zugewiesenen Landes immer noch von unbesiegten
Völkern bewohnt war (Jos 23,4.9-10.14).»
Mabie betont weiter, dass
«die parallelen Realitäten» von Josua 13,1 und 21,43-45 den ausdrücklichen Verheissungen
Gottes von «Segen und Fluch» in 3. Mose 26 und 5. Mose 28 entsprächen:
«Ausserdem betont Josua, dass Jahwe auch weiterhin diese übrigen Völker
entsprechend dem Glauben und Gehorsam Israels vertreiben würde (Jos 23,6);
Untreue und Ungehorsam jedoch würden dies gefährden (Jos 23,12- 13.15-16). Kurz
gesagt, diese Rede hilft, die theologischen Nuancen rund um diese parallelen
Realitäten des vollständig gegebenen Landes und der unvollständigen
Eroberung zu klären (vgl. 4.Mo 33,53; 5.Mo 8,1; 11,22-23).»
Andere verstehen Josua
21,43-45 als Hervorhebung verschiedener Aspekte von Gottes Wesen. So schreibt
Martin H. Woudstra über die Treue Gottes, wie sie in dieser Stelle dargestellt
wird: «Diese Passage ist eine der Schlüsselstellen des ganzen Buches; man kann
daran den Offenbarungswillen des Heiligen Geistes erkennen – er hat den
menschlichen Autor inspiriert, das Buch zusammenzustellen. Das volle Licht der
Offenbarung soll auf die Bundestreue Gottes fallen, der sein den Vätern einmal
gegebenes Wort hält. In diesem Sinne fasst diese Stelle den ersten Teil des
Buches zusammen und stellt seine grundlegende Botschaft heraus. Vers 43 bezieht
sich in erster Linie auf die Verteilung des in den Kapiteln 13-21 beschriebenen
Landes; Vers 44 reflektiert die aktuellen Eroberungen, von denen in Kapitel
1-12 berichtet wird, und Vers 45 rückt das ganze Buch in die Perspektive der
Treue Gottes. Das Buch Josua betrachtet die Eroberung Kanaans gleichzeitig als
vollständig und als unvollständig. In 23,4-5 laufen diese beiden Linien
nebeneinander her, ein Hinweis darauf, dass der Autor sie beide für
gleichermassen gültig hält, auch wenn die Betonung auf der vollständigen
Eroberung liegt.»
Weiter schliesst Woudstra in
seinem Kommentar zu Josua 21,45, die Treue Gottes sollte zum Danken bewegen: «Kein
Wunder also, dass in dieser Passage als Schlusswort eine dankbare Anerkennung
der Treue Gottes steht. Anstatt zu scheitern und nicht zustande zu kommen
(hebr.: ‹auf die Erde fallen›), wurden die guten Worte des Herrn, die Er dem
Haus Israel zugesprochen hatte (dies ist ein weiteres Leitmotiv: das Volk als
eine Einheit), alle erfüllt (vgl. 23,14). Dieser Ausdruck der Dankbarkeit
findet im Neuen Testament seinen Widerhall (vgl. Off 11,16-18).»
Von
Greg Harris