Zu
einem biblischen Verständnis von Josua 21,43-45. Teil 10.
In Hank Hanegraaffs Buch The
Apocalypse Code ist ein geeignetes Fallbeispiel dafür zu finden, wie
jemandes Auslegung von Josua 21,43-45 seine Eschatologie beeinflusst.
Hanegraaff schreibt gegen die «christlichen Zionisten, die in der
Tatsache, dass Jerusalem jetzt ganz in den Händen der Juden ist,
einen Beweis der Wahrheit der Bibel sehen». Um seinen Standpunkt zu untermauern,
verweist er auf 5. Mose 28-30: «Das moderne Israel erfüllt nicht die biblische
Bedingung für die Rückkehr ins Land. Wie Mose die Kinder Israels eindeutig
warnte (Hervorhebung hinzugefügt), würde Ungehorsam gegen den Herrn
auf Zerstreuung hinauslaufen (5.Mo 28,58- 64; 29,23-28), während
die Rückkehr in das Land Busse voraussetzt: ‹Wenn du umkehrst zu
dem Herrn, deinem Gott, und seiner Stimme gehorchst in allem, was
ich dir heute gebiete, du und deine Kinder, von ganzem Herzen und von
ganzer Seele, so wird der Herr, dein Gott, dein Geschick wenden und
sich über dich erbarmen und wird dich wieder sammeln aus allen Völkern,
wohin dich der Herr, dein Gott, zerstreut hat› (5.Mo 30,2-3).» (S.
196-97; Hervorhebung im Original.)
Da Hanegraaff 5. Mose 30,2-3
als Teil seiner Begründung zitiert, sollte man den Kontext der
Verheissungen Gottes in 5. Mose 30,1-8 bedenken, die zu einem unbekannten,
zukünftigen Zeitpunkt erfüllt werden:
«Es wird aber geschehen,
wenn alle diese Worte über dich kommen werden, der Segen und der Fluch, die ich
dir vorgelegt habe, und du es dir zu Herzen nimmst unter all den Heidenvölkern,
unter die dich der Herr, dein Gott, verstossen hat, und wenn du umkehrst zu dem
Herrn, deinem Gott, und seiner Stimme gehorchst in allem, was ich dir heute
gebiete, du und deine Kinder, von ganzem Herzen und von ganzer Seele, so wird
der Herr, dein Gott, dein Geschick wenden und sich über dich erbarmen und wird
dich wieder sammeln aus allen Völkern, wohin dich der Herr, dein Gott, zerstreut
hat. Und wenn du auch bis an das Ende des Himmels verstossen wärst, so wird
dich doch der Herr, dein Gott, von dort sammeln und dich von dort holen. Und
der Herr, dein Gott, wird dich in das Land zurückbringen, das deine Väter
besessen haben, und du wirst es in Besitz nehmen, und er wird dir Gutes tun und
dich mehren, mehr als deine Väter. Und der Herr, dein Gott, wird dein Herz und
das Herz deiner Nachkommen beschneiden, dass du den Herrn, deinen Gott, liebst von
ganzem Herzen und von ganzer Seele, damit du lebst. Aber alle diese Flüche wird
der Herr, dein Gott, auf deine Feinde legen und auf die, welche dich hassen und
dich verfolgt haben. Du aber wirst umkehren und der Stimme des Herrn gehorchen
und alle seine Gebote befolgen, die ich dir heute gebiete.»
Segen und Fluch in 5. Mose
27-28 hängen unmittelbar mit 5. Mose 30,1 zusammen: «Es wird
aber geschehen, wenn alle diese Worte über dich kommen werden, der Segen und
der Fluch, die ich dir vorgelegt habe …» Besonders relevant für diese Stelle
ist der Fluch-Abschnitt, wo Jahwe offen das Exil für das ungehorsame
Volk ankündigt:
«Und wie der Herr sich
euretwegen zuvor freute, euch Gutes zu tun und euch zu mehren, so wird der Herr
sich euretwegen freuen, euch zu verderben und euch zu vertilgen, und ihr werdet
herausgerissen werden aus dem Land, in das du jetzt ziehst, um es in Besitz zu
nehmen. Denn der Herr wird dich unter alle Völker zerstreuen von einem Ende der
Erde bis zum anderen; und du wirst dort anderen Göttern dienen, die dir und
deinen Vätern unbekannt waren, Göttern aus Holz und Stein. Dazu wirst du unter
diesen Heiden keine Ruhe haben und keine Rast finden für deine Fusssohlen; denn
der Herr wird dir dort ein bebendes Herz geben, erlöschende Augen und eine verzagende
Seele» (5.Mo 28,63-65).
Da Hanegraaff zu 5. Mose
28-30 – und insbesondere zu 5. Mose 30,2-3 – richtigerweise schreibt, dass
«Mose … eindeutig warnte» (S. 196), sollte man doch annehmen, dass Mose sich
auch weiterhin eindeutig ausdrückte. Immerhin handelt es sich hier nicht um
zufällig zusammengewürfelte Verse, sondern eindeutig um einen zusammenhängenden
Abschnitt. Und doch wird 5. Mose 30,1-5 in den Bibelstellenverweisen von The
Apocalypse Code nur zweimal in Fussnoten zitiert (S. 265, Fussnote 44, und
S. 266, Fussnote 46) und spielt somit in Hanegraaffs Eschatologie kaum eine
Rolle. Im vorherigen Zitat wurde 5. Mose 30,2-3 angeführt. Das ist sehr
wichtig, denn dies sind die einzigen Verweise aus 5. Mose 30; oder anders ausgedrückt:
Hanegraaff zitiert zwar 5. Mose 30,2-3, ignoriert aber völlig die unmittelbar
vorhergehenden Verse 5. Mose 30,3-10. Das ist auch deshalb wichtig, weil 5.
Mose 30 mit dem übereinstimmt, was Gott zuvor in 3. Mose 26,40-45 verheissen
hatte. Wie schon zuvor hat Hanegraaff auch hier bereits zugegeben, dass Mose
sich in diesem Abschnitt eindeutig ausgedrückt hat (S. 196). Man sollte
annehmen, die folgenden Verse seien genauso geschrieben worden. Einfach gesagt
ignoriert Hanegraaff eine höchst relevante Offenbarung Jahwes zur Zukunft
sowohl des Volkes als auch des Landes Israel.
Gott wusste, dass Israel von
Ihm abfallen würde; das offenbarte Er, noch bevor es in das Land einzog: «…
denn ich kenne ihre Gedanken, mit denen sie jetzt schon umgehen,
ehe ich sie in das Land bringe, das ich ihnen zugeschworen habe» (5.Mo
31,21). Johannes Sailhamer beschreibt diesen Abschnitt so: «Man kann
in diesen Worten schon von ferne die Stimme der Propheten hören. Das Exil
kommt. Die Zukunft ist gefährdet. Zu dieser Zeit ist wenig Hoffnung im Volk
Gottes.» Während Jahwe also treu bleibt, wusste Er an eben diesem
Tag schon, dass das Herz des Volkes bereits dabei war, sich von
Ihm abzuwenden. Jedoch muss betont werden, dass Gott bereits offenbart
hatte, was in 5. Mose 30,1-10 bekannt wurde: dass das Volk wegen seines
offenen Ungehorsams schliesslich ins Exil gehen und unter die Völker zerstreut
werden würde. Doch dazugab Gott Seine Verheissung, sie dann wieder zu
sammeln und ihnen ein neues Herz zu geben. Offensichtlich sah Jahwe weit über
den unmittelbaren Kontext von Josua 21 hinaus, wo Israel ja noch überwiegend im
Bundesgehorsam Ihm gegenüber lebte und deshalb auch die Segnungen des Bundes
genoss – sie lebten im Land und hatten Ruhe vor ihren Feinden, wie in 3. Mose
28 und 5. Mose 27-28 verheissen.
Von einem
Auslegungsstandpunkt aus gesehen, der diese Verse als eindeutig erachtet und
sie nicht aus dem unmittelbaren Zusammenhang reisst, trifft die unzweideutige
Niederschrift Moses bzw. das Wort des Herrn genau den Punkt: Wenn das jüdische
Volk Busse tut, dann wird Jahwe es tatsächlich zurückbringen – zunächst zu Ihm
selbst und dann in das Land (5.Mo 30,2-3). Wenn es so weit ist, wird Jahwe Seine
Verheissung erfüllen und das Volk als Teil der Erfüllung des abrahamitischen
Bundes aus der Verbannung in das Land zurückbringen (3.Mo 26,40-45; 5.Mo
30,4-5). Um sicherzustellen, dass dies tatsächlich geschehen kann, wird Jahwe
selbst dem Volk ein beschnittenes Herz geben, damit es den Herrn, seinen
Gott, von ganzem Herzen liebt (5.Mo 30,6). In diesem Vers klingen unüberhörbar
neutestamentliche Zwischentöne der Segnungen des Neuen Bundes durch. Später in
der Schrift hat Gott diese Segnungen dann genauer skizziert. Weiter wird Jahwe
genau die Flüche, mit denen Er Israel gestraft hat, auf die Nationen legen (5.Mo
30,7). Und zum Abschluss wird eine der Aussagen wiederholt – Er sagt genau
diesem Volk, das Er mit dem Fluch belegt hat: «Du aber wirst umkehren
und der Stimme des Herrn gehorchen und alle seine Gebote befolgen, die
ich dir heute gebiete» (5.Mo 30,8). Dem geht wieder ein verbindendes «Dann»
voran, das (wie schon von Hanegraaff erwähnt) in 5. Mose 30,2-3 erforderlich war
(S. 197): «Und der Herr, dein Gott, wird dir Überfluss geben in allem Werk
deiner Hände …» (5.Mo 30,9).
Besonders im Hinblick auf
das Buch Josua ist festzustellen, dass zu der Zeit von Josua 21
noch keine einzige Aussage von 5. Mose 30,1-8 eingetreten war.
Sowohl für 3. Mose 26 als auch für 5. Mose 30,1 gilt ausdrücklich die Bedingung,
dass Israel leben muss «unter all den Heidenvölkern, unter die dich der Herr,
dein Gott, verstossen hat». Diese Verbannung Israels war in Josua 21
noch nicht erfolgt; offensichtlich hatte das Volk bis dahin noch
nicht in der Verbannung Busse getan (5.Mo 30,2) und Jahwe hatte sie noch
nicht wieder aus der Gefangenschaft zurückgebracht (V 3). Israel als
Ganzes war noch nicht «bis an das Ende des Himmels verstossen» (V 4);
folglich hatte Jahwe es auch noch nicht wieder in das Land seiner Väter
zurückgebracht (V 5). Davon abgesehen stand noch eine weitere gute
Verheissung Jahwes aus: Er würde tatsächlich ihr Herz
beschneiden, damit sie Ihm gehorchen könnten (V 6). Genauso hatte Jahwe
zur Zeit von Josua 21,43-45 noch nicht «alle diese Flüche» auf
ihre Feinde gelegt (5.Mo 30,7). Und ebenso wenig hatte Jahwe
ihnen nach dem vorhergehenden Fluch Überfluss gemäss den zugesicherten
Segnungen aufgrund ihres Bundesgehorsams gegeben (5.Mo 30,9-10).
Einfach ausgedrückt: Es kann keineswegs nachgewiesen werden, dass zu
der Zeit von Josua 21,43-45 alle diese guten Verheissungen Jahwes schon
erfüllt worden wären; bis heute ist dies noch nicht einmal
ansatzweise geschehen. Wie dem auch sei, Hanegraaff mag seine
Leser noch so sehr anflehen, sich im Verständnis bestimmter Passagen von
niemandes Eschatologie beeinflussen zu lassen, sondern einfach
die offensichtliche Bedeutung des Textes für sich selbst sprechen
zu lassen (S. 29) – so lässt doch seine eigene im Vorhinein festgelegte
Theologie keinen Raum für die guten Verheissungen in 3. Mose
26,40-45 oder 5. Mose 30,4-10. Er lässt sie vielmehr weg, ignoriert sie
und tut sie als eschatologisch irrelevant ab. Wie schon früher in
dieser Serie gesagt, wurde das Lehrgebäude der Kirche wirklich
ausgehöhlt.
Dieselbe Methode des
selektiven Zitierens und des Weglassens anderer wesentlicher Verse
wendet Hanegraaff auch auf das Buch Josua an. Zum Beispiel werden
im Bibelstellenverzeichnis von The Apocalypse Code (S. 289) aus dem gesamten
Buch Josua als einzige Stellen Josua 21,43.45 sowie 23,14 angeführt; diese
werden im Buch auf einer einzigen Seite abgehandelt (S. 178).
Hanegraaffs Argumentation lässt jeglichen Bezug auf Gottes
Auftrag an Josua, das Land einzunehmen, gänzlich vermissen – einschliesslich
des Hinweises auf den Euphrat (Jos 1,1-4). Ebenso wenig findet sich
ein Hinweis auf die einleitende Erklärung Gottes im Abschnitt über die
Landverteilung (Jos 13-21); in den ersten Versen dieses Abschnitts erklärt
Gott selbst, dass ein grosser Teil des Landes noch nicht erobert
war (Jos 13,1-7).
Von
Greg Harris