04.10.2012

Hat Gott Seine Verheissungen erfüllt? - Teil 7

Bedeutende Aspekte im Buch Josua – Teil II

Zu einem biblischen Verständnis von Josua 21,43-45. Teil 7.



Im Lauf der Jahrhunderte haben Menschen immer wieder mit der Frage gerungen, wie die Aussage über die unvollständige Eroberung in Josua 13,1 mit Josua 21,43-45 zu vereinbaren ist, wo angeblich die vollständige Landnahme verkündigt wird. So auch Johannes Calvin: «Um diesen scheinbaren Widerspruch aufzulösen, ist es notwendig, zwischen der bestimmten, klaren und festen Treue Gottes im Halten seiner Verheissungen einerseits und der Verweichlichung und Trägheit des Volkes andererseits zu unterscheiden, die dazu führte, dass ihnen der Vorteil der göttlichen Güte gewissermassen entglitt … Deshalb wurde die Wahrheit Gottes sichtbar und greifbar, auch wenn sie nicht alle ausrotteten und deren Besitz übernahmen; sie hätten ohne alle Schwierigkeiten auch den Rest in Besitz nehmen können, wenn es ihnen gefallen hätte, von den ihnen angebotenen Siegen Gebrauch zu machen.»

Dale Ralph Davis berücksichtigt den anscheinenden Konflikt zwischen den zwei Texten und gibt folgende Einschätzung: «… nämlich, dass noch viel Land übrig war, das noch in Besitz genommen werden musste (13,1), und dass da noch Feinde waren, die Israel nicht vertrieben hatte (z.B. 16,10; 17,12-13). Doch erinnern wir uns, dass der biblische Autor … diese anderen Faktoren kannte, und hätte er hierin einen direkten Widerspruch zu 21,43-45 gesehen, hätte er diesen sicher bemerkt (und vermutlich angesprochen). Offensichtlich spürte der biblische Autor hier keine unerträgliche Reibung … Jahwe hatte Israel das ganze Land gegeben (V 43a) – das wird bezeugt durch die Tatsache, dass sie das Land besassen und darin lebten (V 43b). Das widerspricht nicht der Tatsache, dass sie davon mehr hätten besitzen können (vgl. 2.Mo 23,30).»

Frederick J. Mabie bietet eine Harmonisierung des vermeintlichen Widerspruchs zwischen Josua 13,1 und 21,43-45: «Ungeachtet der Realität nichteroberter Gebiete wird auf Befehl Jahwes das ganze Land durch das Los unter die Stämme aufgeteilt (Jos 13,6); so ist ihnen das ganze Land gegeben, wie Jahwe es verheissen hatte (vgl. Jos 21,43-45). Diese Wechselbeziehung zwischen gegebenem und unerobertem Land kommt in Josuas Ermahnung an die Leiterschaft Israels in Josua 23 schön zum Ausdruck: ‹Und es geschah nach langer Zeit, als der Herr Israel Ruhe verschafft hatte vor all seinen Feinden ringsum …› Diese Rede spricht von Israels Siegen im Land und betont, dass alles, was Jahwe verheissen hatte, ‹für euch eingetroffen› ist; gleichzeitig stellt sie aber auch klar, dass ein Teil des zugewiesenen Landes immer noch von unbesiegten Völkern bewohnt war (Jos 23,4.9-10.14).»

Mabie betont weiter, dass «die parallelen Realitäten» von Josua 13,1 und 21,43-45 den ausdrücklichen Verheissungen Gottes von «Segen und Fluch» in 3. Mose 26 und 5. Mose 28 entsprächen: «Ausserdem betont Josua, dass Jahwe auch weiterhin diese übrigen Völker entsprechend dem Glauben und Gehorsam Israels vertreiben würde (Jos 23,6); Untreue und Ungehorsam jedoch würden dies gefährden (Jos 23,12- 13.15-16). Kurz gesagt, diese Rede hilft, die theologischen Nuancen rund um diese parallelen Realitäten des vollständig gegebenen Landes und der unvollständigen Eroberung zu klären (vgl. 4.Mo 33,53; 5.Mo 8,1; 11,22-23).»

Andere verstehen Josua 21,43-45 als Hervorhebung verschiedener Aspekte von Gottes Wesen. So schreibt Martin H. Woudstra über die Treue Gottes, wie sie in dieser Stelle dargestellt wird: «Diese Passage ist eine der Schlüsselstellen des ganzen Buches; man kann daran den Offenbarungswillen des Heiligen Geistes erkennen – er hat den menschlichen Autor inspiriert, das Buch zusammenzustellen. Das volle Licht der Offenbarung soll auf die Bundestreue Gottes fallen, der sein den Vätern einmal gegebenes Wort hält. In diesem Sinne fasst diese Stelle den ersten Teil des Buches zusammen und stellt seine grundlegende Botschaft heraus. Vers 43 bezieht sich in erster Linie auf die Verteilung des in den Kapiteln 13-21 beschriebenen Landes; Vers 44 reflektiert die aktuellen Eroberungen, von denen in Kapitel 1-12 berichtet wird, und Vers 45 rückt das ganze Buch in die Perspektive der Treue Gottes. Das Buch Josua betrachtet die Eroberung Kanaans gleichzeitig als vollständig und als unvollständig. In 23,4-5 laufen diese beiden Linien nebeneinander her, ein Hinweis darauf, dass der Autor sie beide für gleichermassen gültig hält, auch wenn die Betonung auf der vollständigen Eroberung liegt.»

Weiter schliesst Woudstra in seinem Kommentar zu Josua 21,45, die Treue Gottes sollte zum Danken bewegen: «Kein Wunder also, dass in dieser Passage als Schlusswort eine dankbare Anerkennung der Treue Gottes steht. Anstatt zu scheitern und nicht zustande zu kommen (hebr.: ‹auf die Erde fallen›), wurden die guten Worte des Herrn, die Er dem Haus Israel zugesprochen hatte (dies ist ein weiteres Leitmotiv: das Volk als eine Einheit), alle erfüllt (vgl. 23,14). Dieser Ausdruck der Dankbarkeit findet im Neuen Testament seinen Widerhall (vgl. Off 11,16-18).»

Von Greg Harris