08.03.2011

Weisheit versus Torheit

«Die Weisheit hat ihr Haus gebaut … sie lädt ein auf den Höhen der Stadt. … Frau Torheit ist unbändig, voll Unverstand und erkennt gar nichts; und doch sitzt sie bei der Tür ihres Hauses, auf einem Sessel auf den Höhen der Stadt, um die Vorübergehenden einzuladen …» (Spr 9,1.3.13-15).
Albert Schweizer sagte einmal: «Wenn man einst, nach Tausenden von Jahren, unsere Zeit mit einem Wort kennzeichnen will, wird man sagen: Es war die Zeit, wo man das Wissen an die Stelle der Wahrheit setzte.» In einem Leserbrief an den Spiegel über einen spöttischen Artikel mit dem Titel «Als Jesus noch ein Guru war – Von der Christus-Sekte zur Weltreligion» (der natürlich ausgerechnet zur Osterzeit erschien) schrieb jemand: «Glaube ist das Gegenteil von Wissen. Wer wenig weiss, dem kann man den grössten Unsinn glaubhaft machen, um Macht über ihn auszuüben.»
Etwa zur gleichen Zeit las ich die Rezension eines Buches mit dem Titel: Die Akte Jesus – Ein Jurist ermittelt in Sachen Auferstehung. Der Verfasser, Charles Foster, ist Jurist in London und lehrt in Oxford Medizinrecht und Ethik; ausserdem ist er Gastprofessor an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Er hat die Indizien, die gängigen und populären Argumente pro und kontra Auferstehung Jesu zusammengetragen und Plädoyers für und gegen die Wahrscheinlichkeit der Auferstehung erstellt. Er als intellektueller Mann kommt zu folgendem Schluss: «Die historische Auferstehung ist bei weitem die wahrscheinlichste Erklärung für all das, was wir sicher wissen. Man muss schon einige merkwürdige Dinge glauben, wenn man nicht an die Auferstehung glaubt. Und um diese Dinge zu glauben, dazu fehlt mir einfach der Glaube.»
Das zeigt deutlich, dass es zwischen der ersten und der zweiten Aussage eine grosse Diskrepanz gibt. Es ist ein Kampf zwischen Wahrheit und Torheit. Dieser Kampf findet auch im einzelnen Menschen statt, in dessen eigener Seele. Es geht um Weisheit und Torheit, und es ist ewigkeitsentscheidend, die zutreffende Antwort zu finden.
Die sieben Säulen der Weisheit. «Die Weisheit hat ihr Haus gebaut, hat ihre sieben Säulen ausgehauen» (Spr 9,1).
Die Weisheit, die von Gott kommt, beruht demnach auf sieben Säulen. Das heisst, sie hat ein vollkommenes Fundament, sie bietet Sicherheit und Stabilität. Wir wissen, dass die Weisheit sich personifiziert in Jesus Christus, «in welchem alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis verborgen sind» (Kol 2,3). Christus ist «Gottes Kraft und Gottes Weisheit» (1.Kor 1,24). Worin verwirklicht sich die göttliche Weisheit in Jesus? Zunächst einmal in den sieben Tagen der Schöpfung. Sie sind ein unergründlicher Ausdruck der mannigfaltigen Weisheit unseres Schöpfers. «Wie zahlreich sind deine Werke, o Herr! Du hast sie alle mit Weisheit gemacht, die Erde ist voll deines Eigentums» (Ps 104,24).
Sieben ist die biblische Vollkommenheitszahl. Die sieben Säulen der Weisheit sprechen von einem Bau: «Die Weisheit hat ihr Haus gebaut, hat ihre sieben Säulen ausgehauen.» Die vollkommene Weisheit Gottes verwirklicht sich im geistlichen Haus, der Gemeinde, «damit jetzt den Gewalten und Mächten in der Himmelswelt durch die Gemeinde die mannigfaltige Weisheit Gottes zu erkennen gegeben werde» (Eph 3,10). «Mannigfaltig» bedeutet unendliche Vollkommenheit. In der Gemeinde, bestehend aus Juden und Heiden, ist der Bau des Heilsratschlusses Gottes durch Jesus Christus errichtet worden. «Die Weisheit hat ihr Haus gebaut, hat ihre sieben Säulen ausgehauen», «… auferbaut auf der Grundlage der Apostel und Propheten, während Jesus Christus selbst der Eckstein ist, in dem der ganze Bau, zusammengefügt, wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn, in dem auch ihr miterbaut werdet zu einer Wohnung Gottes im Geist» (Eph 2,20-22).
Im Blick auf diese Gemeinde rühmt Paulus die Weisheit Gottes: «O welche Tiefe des Reichtums sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind seine Gerichte, und wie unausforschlich seine Wege!» (Röm 11,33). Die sieben Gemeinden, an die die Sendschreiben im letzten Buch der Bibel gerichtet sind (Offb 1,20), zeugen ebenfalls von dem vollendeten Bau Gottes. Die unergründliche Weisheit unseres Herrn hat sich ein Haus gebaut, das sich Gemeinde nennt.
Die Einladung der Weisheit. «Sie hat ihr Vieh geschlachtet, ihren Wein gemischt und ihre Tafel gedeckt. Sie hat ihre Mägde ausgesandt, sie lädt ein auf den Höhen der Stadt: ‹Wer unverständig ist, der komme herzu!› Zum Uneinsichtigen spricht sie: ‹Kommt her, esst von meinem Brot und trinkt von dem Wein, den ich gemischt habe! Verlasst die Torheit, damit ihr lebt, und wandelt auf dem Weg der Einsicht!›» (Spr 9,2-6).
Es ist alles bereit: «Sie hat ihr Vieh geschlachtet, ihren Wein gemischt und ihre Tafel gedeckt» (V 2). Der Tisch ist bereits gedeckt, alles ist reichlich vorhanden; man muss rein gar nichts mehr dazu beitragen. Alles ist getan, alles ist vollendet. Man muss nur noch kommen und zugreifen. Wir dürfen in die vollkommene Herrlichkeit Gottes treten. Alles wird uns zum Erbe serviert, ohne dass wir etwas hinzufügen müssten. In und durch Jesus Christus besitzen wir alles. Seine Gegenwart macht das Fest aus. In Ihm haben wir die Fülle. Wir müssen der Einladung nur noch Folge leisten. Der weise Simeon betete darüber an und sagte: «Denn meine Augen haben dein Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast» (Lk 2,30-31).
Der Ruf der Weisheit: «Sie hat ihre Mägde ausgesandt, sie lädt ein auf den Höhen der Stadt» (V 3). Von den Höhen der Stadt Jerusalem aus wurde das Evangelium in die ganze Welt hinausgetragen. Der Herr Jesus sagte bei Seiner Himmelfahrt: «Ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch gekommen ist, und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde!» (Apg 1,8).
Die Botschaft der Weisheit: «‹Wer unverständig ist, der komme herzu!› Zum Uneinsichtigen spricht sie: ‹Kommt her, esst von meinem Brot und trinkt von dem Wein, den ich gemischt habe! Verlasst die Torheit, damit ihr lebt, und wandelt auf dem Weg der Einsicht!›» (V 4-6).
Die Botschaft richtet sich an die Unverständigen, aber nicht nur an sie, sondern auch an die Uneinsichtigen. Gott gibt jedem eine Chance, sogar denen, die nicht wollen. Bei Jesu erstem Kommen waren die Unverständigen das jüdische Volk. Die Uneinsichtigen waren die religiösen Führer des Volkes, die in ihrer Halsstarrigkeit verharrten. Jesus kleidete diese Wahrheit in ein Gleichnis: «Als nun einer, der mit ihm zu Tisch sass, dies hörte, sprach er zu ihm: Glückselig ist, wer das Brot isst im Reich Gottes! Er aber sprach zu ihm: Ein Mensch machte ein grosses Mahl und lud viele dazu ein. Und er sandte seinen Knecht zur Stunde des Mahles, um den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist schon alles bereit!» (Lk 14,15-17).
Leider haben die, an welche die Einladung zuerst gerichtet war, ihr nicht Folge geleistet, wie der Kontext dieses Gleichnisses zeigt. Sie blieben uneinsichtig: «Und sie fingen alle einstimmig an, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss unbedingt hinausgehen und ihn ansehen; ich bitte dich, entschuldige mich! Und ein anderer sprach: Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft und gehe hin, um sie zu erproben; ich bitte dich, entschuldige mich! Wieder ein anderer sprach: Ich habe eine Frau geheiratet, darum kann ich nicht kommen! Und jener Knecht kam wieder und berichtete das seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Gassen und Plätze der Stadt und führe die Armen und Krüppel und Lahmen und Blinden herein! Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, wie du befohlen hast; es ist aber noch Raum da! Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus an die Landstrassen und Zäune und nötige sie hereinzukommen, damit mein Haus voll werde! Denn ich sage euch, dass keiner jener Männer, die eingeladen waren, mein Mahl schmecken wird!» (V 18-24).
Die Weisheit lädt zu etwas Besserem ein als zu dem, was vorhanden ist: «Kommt her, esst von meinem Brot und trinkt von dem Wein, den ich gemischt habe!» (V 5). Die Eingeladenen meinten, durch das Gesetz errettet zu werden, und diesen Unverstand, diese Uneinsichtigkeit sollten sie nun aufgeben. Die Botschaft Jesu Christi beinhaltet die Rechtfertigung durch Seinen Leib und durch Sein Blut – durch die Hingabe Seines Lebens. Sein beim Abendmahl eingesetzter Bund ist ein neuer Bund und löste den Bund des Gesetzes ab. Jesus sagte: «Ich bin das lebendige Brot, das aus dem Himmel herabgekommen ist. Wenn jemand von diesem Brot isst, so wird er leben in Ewigkeit. Das Brot aber, das ich geben werde, ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt» (Joh 6,51).
Jesus Christus kam, um das Gesetz zu erfüllen. Er ist vollkommener als das Gesetz. Das, was das Gesetz nicht vermochte, das vollbrachte der Herr Jesus. Wer Jesus aufnimmt, wird vollkommen gerechtfertigt. Jener bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm. Eine Aussage im Buch Prediger zeigt uns in einem wunderbaren Bildnis, dass die Weisheit Jesu viel mehr vermag als das Gesetz: «Die Weisheit macht den Weisen stärker als zehn Mächtige, die in der Stadt sind. Weil kein Mensch auf Erden so gerecht ist, dass er Gutes tut, ohne zu sündigen …» (Prediger 7,19-20). Das, was wir durch Jesus haben, ist besser als die Zehn Gebote. Die Zehn Gebote sind gut, heilig und voller Weisheit, aber sie zeigen uns lediglich, wie schlecht wir sind. Jesus aber bringt uns die Vergebung und das neue Gebot.
Die Weisheit ruft zur Glaubensentscheidung: «Verlasst die Torheit, damit ihr lebt, und wandelt auf dem Weg der Einsicht!» (V 6). Das war der Ruf Jesu an Sein Volk, das war der Ruf der Apostel, das war der Ruf eines sterbenden Stephanus. «Darum hat auch die Weisheit Gottes gesagt: Ich werde Propheten und Apostel zu ihnen senden, und einige von ihnen werden sie töten und verfolgen» (Lk 11,49). Dem Evangelium Jesu begegnet man seither grösstenteils mit einem spöttischen Lächeln, mit Ablehnung oder gar mit Verfolgung derjenigen, die es bezeugen. An seine Stelle rückte die Torheit der Aufklärungsphilosophie, der Evolutionstheorie, des Kommunismus, des Nationalsozialismus oder der Esoterik – und am Ende der Zeit wird es der Antichrist sein. Wer dem Glauben die Tür verweigert, dem steigt der Aberglaube zum Fenster ein. Der Fürst dieser Welt bietet immer irgendeine Alternative zum Christentum.
Die Einladung der Torheit. «Frau Torheit ist unbändig, voll Unverstand und erkennt gar nichts; und doch sitzt sie bei der Tür ihres Hauses, auf einem Sessel auf den Höhen der Stadt, um die Vorübergehenden einzuladen, die auf dem richtigen Pfad wandeln: ‹Wer unverständig ist, der komme herzu!› Und zum Uneinsichtigen spricht sie: ‹Gestohlenes Wasser ist süss, und heimliches Brot schmeckt köstlich!› Er weiss aber nicht, dass die Schatten dort hausen und ihre Gäste in den Tiefen des Totenreiches» (Spr 9,13-18).
Fällt Ihnen bei der Schilderung der Torheit etwas auf? Sie geht ganz ähnlich vor wie die Weisheit! Sie tritt als «Engel des Lichts» auf (vgl. 2.Kor 11,14). Sie ist Antichristliches in christlichem Gewand. Die Weisheit und die Torheit sind so gegensätzlich, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten.
«Die Weisheit hat ihr Haus gebaut, hat ihre sieben Säulen ausgehauen» (Spr 9,1). «Frau Torheit ist unbändig, voll Unverstand und erkennt gar nichts» (V 13). Trotz dieser Gegensätzlichkeit lautet die Botschaft der Torheit ähnlich wie die der Weisheit, und gerade das ist das Verführerische und Antichristliche!
Von der Weisheit heisst es: «Sie hat ihre Mägde ausgesandt, sie lädt ein auf den Höhen der Stadt» (V 3). Die Torheit tritt ganz ähnlich auf: «… und doch sitzt sie bei der Tür ihres Hauses, auf einem Sessel auf den Höhen der Stadt» (V 14). Die Weisheit sagt: «‹Wer unverständig ist, der komme herzu!› Zum Uneinsichtigen spricht sie …» (V 4). Die Torheit: «‹Wer unverständig ist, der komme herzu!› Und zum Uneinsichtigen spricht sie …» (V 16). Die Weisheit: «Kommt her, esst von meinem Brot und trinkt von dem Wein, den ich gemischt habe!» (V 5). Die Torheit: «Gestohlenes Wasser ist süss, und heimliches Brot schmeckt köstlich!» (V 17). Die Ähnlichkeit ist verblüffend und erschreckend zugleich. Das Resultat könnte gegensätzlicher nicht sein. Das eine ruft zum Leben und das andere zum Tod. Die Weisheit: «Verlasst die Torheit, damit ihr lebt, und wandeltauf dem Weg der Einsicht!» (V 6). Die Torheit: «Er weiss aber nicht, dass die Schatten dort hausen und ihre Gäste in den Tiefen des Totenreiches» (V 18).
Der Mensch sollte sich im Klaren darüber sein, dass er entweder der göttlichen Weisheit in Jesus Christus angehört oder sich in den Fängen der Torheit befindet, die der Teufel anbietet. «Der Narr spricht in seinem Herzen: ‹Es gibt keinen Gott!›» (Ps 53,2).
«Dass Jesus Christus am Kreuz für uns starb, muss freilich all denen, die verloren gehen, unsinnig erscheinen. Wir aber, die gerettet werden, erfahren gerade durch diese Botschaft vom Kreuz die ganze Macht Gottes. Es ist so, wie Gott gesagt hat: ‹Bei mir zählt nicht die Weisheit der Welt, nicht die Klugheit der Klugen. Ich werde sie verwerfen.› Was aber haben sie dann noch zu sagen, all diese gescheiten Leute, die Gelehrten und Philosophen dieser Welt? Hat Gott ihre Weisheiten nicht als Unsinn entlarvt? Obwohl Gottes Weisheit sich in seinen Werken zeigt, haben die Menschen mit all ihrem Scharfsinn Gott nicht erkannt. Deshalb beschloss er, alle zu retten, die einer scheinbar so unsinnigen Botschaft glauben. Die Juden wollen Wunder sehen, und die Griechen suchen die Antwort auf ihre Fragen in der Philosophie. Wir aber sagen den Menschen, dass Christus – der Sohn Gottes – für uns sterben musste, auch wenn das für die Juden eine Gotteslästerung ist und für die Griechen schlichtweg Unsinn. Und dennoch erfahren alle, die von Gott berufen sind – Juden wie Griechen –, dass sich gerade in diesem gekreuzigten Christus Gottes Kraft und Gottes Weisheit zeigen. Was Gott getan hat, übersteigt alle menschliche Weisheit, auch wenn es unsinnig erscheint; und was bei ihm wie Schwäche aussieht, übertrifft alle menschliche Stärke» (1.Kor
1,18-25).
Von Norbert Lieth